Rapid: eins, Sturm: zwei – so lauteten die Platzierungen der beiden Vereine nach dem 4. Spieltag der tipico Bundesliga. Alles war also angerichtet für das Aufeinandertreffen der beiden Teams im Topspiel der 5. Runde, das über weite Strecken den hohen Erwartungen der Fans gerecht wurde. Ligaportal-Experte Helge Payer nimmt das 2:2-Remis unter die Lupe.

„Bis auf die ersten zehn Minuten war Sturm in der ersten Halbzeit die bessere Mannschaft. Die Grazer stehen – nach den Problemen im Hinspiel gegen Rubin Kazan – defensiv wieder sehr kompakt, in den ersten vier Bundesligaspielen haben sie nur zwei Gegentreffer kassiert. Die beiden etatmäßigen Innenverteidiger Madl und Spendlhofer sind mittlerweile sehr gut eingespielt. Bei den Grazern imponiert es mir, dass sie fast nie den Ball einfach hinausdreschen, sondern meistens versuchen, spielerische Lösungen zu finden. Nach der Balleroberung schalten sie gut um und überzeugen teilweise auch mit guten Offensiv-Kombinationen.

Eine wichtige Rolle nimmt dabei der junge Donis Avdijaj ein, der nicht nur auf dem Platz mit einer guten Dynamik, Kombinationsstärke und einem starken Abschluss überzeugt. Er hebt mit seiner Art auch abseits des Platzes ab, was erfrischend ist. In meinen Augen hat er das Potenzial ein großer Spieler zu werden.

Geistige Müdigkeit bei Rapid

Ohne die Leistung Sturms in der ersten Halbzeit schmälern zu wollen: Bei Rapid habe ich eine geistige Müdigkeit beobachtet, für die Wiener geht es am Mittwoch gegen Donezk immerhin um die Champions-League-Qualifikation, was für fast jeden Kader-Spieler der größte Erfolg in seiner Karriere wäre. Vielleicht haben einige Rapidler geglaubt - was oft unbewusst passiert -, dass es auch reicht, wenn sie 90 Prozent ihrer Leistung abrufen, gegen eine gute Mannschaft, wie sie Sturm derzeit ist, ist das aber nicht möglich. Die englischen Wochen sind für eher unerfahrene Spieler, wie Stangl oder Auer sehr belastend, das darf man nicht unterschätzen.

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Beric und Hofmann bringen neuen Schwung

In der zweiten Halbzeit haben sich die Wiener dann enorm gesteigert. Vor allem die Einwechslungen von Robert Beric und Steffen Hofmann haben für Schwung gesorgt. Hofmann überzeugt nicht nur mit seinem fußballerischem Können: Wenn er auf den Platz kommt, sprüht er enormes Selbstbewusstsein aus, das sich positiv auf seine Mitspieler auswirkt – wenn Hofmann gewinnen will, wollen auch die anderen zehn Rapidler auf dem Platz gewinnen. Beric hat seit längerem einen enorm guten Lauf. Ich will Philipp Prosenik, der als Solospitze begonnen hat, aber keinen Vorwurf machen. Wenn du in einem Bundesliga-Topspiel einen Spitzenstürmer wie Robert Beric ersetzen musst, ist der Druck natürlich sehr groß. Wenn du – bis auf wenige Ausnahmen – als Joker spielst, kannst du mit deinen Mitspielern noch nicht dieses blinde Verständnis haben, wie es derzeit bei Beric der Fall ist.

Beric sollte nicht um jeden Preis ins Ausland

Seit längerem wird ja heftig darüber diskutiert, ob Rapid Beric halten wird. Vor allem, wenn sich die Wiener für die Champions League qualifizieren sollten, werden sie einen Topmann wie Beric brauchen, um erfolgreich zu sein. Wenn sie dagegen „nur“ in der Europa League spielen würden, wären die Einnahmen durch einen Beric-Verkauf wichtig. Ich glaube nicht, dass Rapid ihn unter einem Angebot von vier Millionen ziehen lassen wird. An Beric‘ Stelle würde ich nicht um jeden Preis ins Ausland gehen. Sollte sich ein europäischer Topverein melden, wird Beric wohl nicht lange überlegen. Einem mittelmäßigen Verein würde ich aber absagen, weil Beric auf internationaler Bühne mit Rapid die Chance hat, durch weitere Tore seinen Wert noch zu steigern und – sollte er erfolgreich sein – noch größere Klubs auf ihn aufmerksam zu machen.

Rapid mit Bayern-Gen

Man muss auch sagen, dass sich Sturm im zweiten Durchgang – ähnlich wie schon im Spiel gegen den WAC – zu weit zurückgezogen und zu passiv gespielt hat. Ich hatte den Eindruck, dass manche Grazer davor Angst hatten, das Spiel zu gewinnen. Sie haben wohl auch im Hinterkopf gehabt, dass Rapid in Unterzahl gegen eine Topmannschaft wie Ajax Amsterdam einen 0:2-Rückstand aufgeholt hat. Auch im Spiel gegen Sturm hat die Moral Rapids gestimmt. Die Wiener spielen zurzeit mit viel Leidenschaft und Herz und tragen dieses typische Bayern-Gen in sich – sie geben niemals auf und wollen um jeden Preis gewinnen.

"no balls, no games" - Euer Helge. 

Foto: Richard Purgstaller