In meinem heutigen Beitrag darf ich mit dem Sportmediziner Dr. Alexander Mildner über mentale Themen im Leistungssport sprechen. Wir bekommen spannende Einblicke wie Vereine ticken, warum Regeneration so wichtig ist, und warum Prävention von Doping bis Drogenmissbrauch ein wesentlicher Aspekt einer psychologischen Begleitung sein sollte. Ein Gastbeitrag von Mentalcoach Wolfgang Seidl. 

Interview von Mentalcoach Wolfgang Seidl mit dem Sportmediziner Dr. Alexander Mildner

Mentalcoach Seidl: Herr Mildner, sie sind als Sportmediziner im Fußball sehr aktiv. Sie waren Teamarzt bei der Wiener Austria und Teamarzt des ÖFB U21 Teams. Wie intensiv wurden die Profis da von einem Sportpsychologen bzw. Mentalcoach betreut?

Dr. Mildner: Nach statistischen Ausreißern gab es wenigstens bei der U 21 unter Werner Gregoritsch den Versuch, für professionelle Begleitung in diesem Bereich zu sorgen….

Leider liegt aber, abgesehen von Einzelinitiativen die Rolle der Sportpsychologie noch immer fast unter der Wahrnehmbarkeitsschwelle. 

Genauso schlimm: diejenigen, die professionelle Unterstützung in Anspruch nahmen, versuchten es nach wie vor “geheim” zu halten- ähnlich wie bei Individualtraining. Sie mussten und müssen nach wie vor Sanktionen der Vereine befürchten. 

Vor allem Trainer befürchten fälschlicherweise eine “Überlastung” des Spielers oder schlichtweg Kontrollverlust über den Spieler und entwickeln da leider oft ein massives Egoproblem…

Mentalcoach Seidl: Wie sehen sie die mentale Arbeit bei Bundesliga Vereinen in Österreich aktuell?

Dr. Mildner: soweit ich es beurteilen kann aus Gesprächen mit Spielern… ausbaufähig….

Mentalcoach Seidl: Hans Dieter Hermann, Sportpsychologe der deutschen Nationalmannschaft predigt schon lange, dass der Kopf die Steuereinheit und ein guter Ansatzpunkt für Leistungssteigerungen ist. Aber das scheint bei den meisten Verantwortlichen noch nicht angekommen zu sein. Wie sehen sie das? 

Dr. Mildner: Ich sehe es genauso. Bei Leistungssteigerung geht es ja nicht darum, dass neuromuskulär jede Bewegung aus dem Cortex entspringt und sinnoptimiert im Muskel ankommt, es geht mehr um die Erfassung des Sportlers als Gesamtpaket, um das Einbeziehen des weithin unbekannten Organs “GEHIRN& Psyche”, um das Erfassen hochkomplexer Vorgänge und Zusammenhänge.

Ich sehe es z.B. praktisch in der Leistungsdiagnostik, die ich durchführe: diese macht sichtbar, dass es oft eine Diskrepanz zwischen körperlicher und mentaler Fähigkeit bzw. Regeneration in diesem Bereich geben kann. 

Kurzgefasst: ist der Geist nicht ausreichend regeneriert, kannst du keinesfalls eine Topleistung erbringen- egal wie fit du sonst sein magst. Ist ein Spieler offen für Kommunikation und Selbstwahrnehmung, so gibt er an “erledigt”, “hohl”, “leer zu sein- trotz physischer Topwerte. 

Umgekehrt kann man mit mentaler Kraft körperliche Leiden, Schmerzen überwinden und so noch einen Sieg, eine Bestzeit erzwingen. Somit JA, der “Kopf” ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für Leistungssteigerung- neben den bekannten physischen Möglichkeiten. In dem Bereich, der am wenigsten austrainiert ist, ist auch der größte leistungssteigernde Effekt zu erwarten.

Da viele Verantwortliche von Vereinen, wenn überhaupt, dann vor Jahrzehnten in der jeweiligen Sportart aktiv waren, weder Aus- noch Fortbildungen genossen haben, ist es klar, dass ihnen neuere Erkenntnisse verborgen bleiben…. mit allen Konsequenzen.  

Mentalcoach Seidl: Sie waren auch Medizinischer Leiter der Austria Akademie bis 2011. Hat sich seit dieser Zeit in der mentalen Arbeit mit den Nachwuchsspielern viel verändert?

Dr. Mildner: Es war leider nur ein Jahr der Betreuung nach der Kampfmannschaft, die ich von 1999 bis 2010 vom Double bis Tabellenkeller begleitet habe. Ich wollte vieles bewegen, bin anfangs auf Interesse gestoßen, später nur mehr auf Gründe, dass die liebe Austria, der ich mich nach wie vor sehr verbunden fühle, heute verdient dort steht, wo sie steht. 

Es sind mir einfach zu viele Kinder aus dem Nachwuchsbereich mit massiven Defiziten in der Kampfmannschaft angekommen- um dort nur ein kurzes Gastspiel zu geben, bevor sie vom Verein “vergessen” werden. 

Die körperlichen Probleme wären bei den meisten aus dieser Gruppe durch individuelles Training einfach zu beheben gewesen. 

Aber wirklich schockierend war für mich schon vor 12-13 Jahren das völlige Unverständnis von hochbezahlten Bundesligatrainern, die ich auf die Notwendigkeit angesprochen habe, den Nachwuchs auch mental auf seine Aufgabe, Krisen zu meistern, heranzubilden, sich und andere zu motivieren, mit Shitstorms, Presse und Reichtum umzugehen zu lernen. 

Eine fundamentale Verbesserung der Betreuungsqualität kann ich nicht erkennen und wird sich vermutlich angesichts der finanziellen Krise auch nicht so schnell ändern. Leider. 

Mentalcoach Seidl: Die mentale Arbeit spielt auch bei Sportverletzungen eine große Rolle. Welche Erfahrungen haben sie damit?

Dr. Mildner: Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt- wie schon vorher erwähnt bei der Leistungsdiagnostik: es gibt oft eine Diskrepanz zwischen physischer und psychischer Regeneration. Mit anderen Worten: du kannst von deinem Herz- Kreislaufsystem her topfit für die nächste Leistung sein, dir schlägt die letzte Konfliktsituation (es muss nicht einmal ein Niederlage sein)- ins Genick- und schon hast du die sogenannte “Perturbation”, die ausreicht, dass du einen Sekundenbruchteil weniger konzentriert, weniger fokussiert bist - und es passiert!

Ein weiterer, allzu oft ignorierter Bereich ist die Regeneration im Schlaf: wir wissen mittlerweile, dass Leistungssportler, die weniger als 8(!) Stunden durchgehend schlafen ein 1,7-fach erhöhtes Verletzungsrisiko haben. 

Wir wissen weiters, dass vor allem die Schlafphase dazu beiträgt, dass Proteine in verletzten Zonen wiederaufgebaut werden (“schlaf dich gesund” stimmt tatsächlich!)

Der Schlaf ist für mich DAS Bindeglied, DAS Missing Link zwischen Physischer und Psychischer Regeneration!

Anderes Beispiel: nach einem Knöchelbruch steigt ein Spieler rasch wieder in den Spielbetrieb ein und alle hoffen auf “den alten” - aber da spielt ein anderer: weit weg vom Gegner, kein Tackling, keine Zweikämpfe, langsam. 

Der Bruch ist längst geheilt und voll belastbar. Aber das ist noch nicht im Kopf angekommen. Niemand hat es ihm “erklärt”. Begleitung bei der Traumabewältigung, zu akzeptieren was ist, Kraft zu schöpfen, voll nach vorne zu gehen, das wäre die Unterstützung eines Mentaltrainers, die ich mir so wünschen würde!”

Mentalcoach Seidl: Zum Schluss noch zur Persönlichkeitsentwicklung im Fußball. Welche Bereiche sollten ihrer Meinung mehr Aufmerksamkeit in der Ausbildung bekommen?

Dr. Mildner: Nicht nur der Umgang mit Sieg und Niederlage, sondern auch die Selbst- und Gruppenmotivation, was kann jeder beitragen, um die schlechte Leistung des Teams zu verbessern, die Stimmung “rumzureißen”?  

Teambuilding. Was kann jeder einzelner beitragen, dass aus einem Haufen ein Team wird

Umgehen mit Ruhm & Reichtum und öffentlicher Zurschaustellung: ich sehe vor allem eine Verantwortung der Vereine, hier die Spieler nicht mit Try and Error im Stich zu lassen, sondern auf eine herausfordernde Karriere vorzubereiten. Vereine verdienen an den Spielern, geben ihnen aber nicht das Rüstzeug in die Hand, mit dem materiellem Reichtum und Publicity umzugehen- “Persönlichkeitsarabesken” bekannter Spieler beweisen dies. 

Eine Kinderstube und Erziehung durch die Eltern dafür verantwortlich zu machen, ist der falsche Weg, da Eltern für diese Begleitung schlichtweg weder Erfahrung noch Ausbildung haben - es ist eine Bringschuld der Vereine.

Prävention vor Doping und Medikamenten/ Alkohol/ Drogenmissbrauch sind ebenfalls aus meiner Sicht ein wesentlicher Aspekt einer psychologischen Begleitung von Sportlern vom Nachwuchs- bis in den Profibereich: Sportler seelisch so “sattelfest” zu machen, dass der Griff zu unerlaubten Substanzen oder Methoden gar nicht erst in Frage kommt. 

Es muss nicht jeder Mentaltrainer oder ein Klinischer & Gesundheitspsychologe sein, aber Grundvoraussetzung für solide persönliche psychologische Betreuung ist eine fundierte psychologische Ausbildung und praktische Erfahrung. Es ist kein Platz für selbstdarstellende Scharlatane aus Schnellsiedekursen, da man vor allem im mentalen Bereich richtig viel Schaden, sogar fürs Leben anrichten kann. Richtig gefährlich wird es, wenn sich oft nahtlos von einem Übertraining Anzeichen einer Erschöpfungsdepression oder gar Suizidgedanken zeigen. 

Besonders mutig habe ich das Statement von Martin Hinteregger gefunden. Und besonders tragisch z.B. auch das Schicksal von Claudia Heill, die ich noch als Nachwuchs Judoka kennenlernen durfte.  

Mentalcoach Seidl: Vielen Dank für den interessanten Einblick! 

Dr. Mildner: Danke für die Einladung!

MANA4YOU

Wolfgang Seidl, MBA
Akademischer Mentalcoach
Dipl. Teamentwickler
HeartMath®Coach

Praxis Steiermark: Burgauerstrasse 49; 8283 Bierbaum
Praxis Wien: Cumberlandstrasse 102; 1140 Wien

+43 650 415 5401
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Foto: GEPA/ADMIRAL