Der ÖFB hat am 15. April 2020 die komplette Annullierung sämtlicher Fußball-Ligen von der Regionalliga abwärts bekannt gegeben. Eine Entscheidung, mit der im Vorfeld durchaus zu rechnen war, die aber viele Unterhaus-Klubs alles andere als zufrieden zurücklässt. Besonders die jeweiligen Tabellenführer der einzelnen Klassen können sich nicht damit anfreunden, die bisher erbrachten Leistungen kurzerhand wegzuwischen und für nichtig zu erklären.

Nach Annulierung durch ÖFB: Ein fairer Abbruch ist notwendig!

Die beiden sportinteressierten Juristen Mag. Markus Medl, parlamentarischer Referent im Europäischen Parlament, und Mag. Andreas Mühleder, Privatwirtschaft, befassen sich in ihrem Schreiben „Ein fairer Abbruch ist notwendig!“ mit dem vom ÖFB in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. Dies diente dem ÖFB-Präsidium als Grundlage für die getroffene Entscheidung. Die beiden Juristen und geprüften ÖFB-Verbandsschiedsrichter machen aus ihrem Gerechtigkeitsverständnis keinen Hehl und sind der Meinung, dass man die Wertung anders gestalten muss. 

"Ein fairer Abbruch ist notwendig!"

Selten gab es in der jüngeren Fußballgeschichte eine größere Überschneidung zwischen dem professionellen Lager und dem Amateurbereich. Der Kampf um die Wertung der sportlichen Leistungen in der abgebrochenen bzw. ausgesetzten Meisterschaft eint so manche Reihen hinter König Fußball. Der gemeinsame Nenner zwischen den Fußballwelten des LASK (Tabellenführer der 1. Bundesliga, Anm.), der des SV Windischgarsten (Tabellenführer ohne Punktverlust in der OÖ. 1. Klasse Ost) oder jener der Union Schardenberg (Tabellenführer ohne Punktverlust in der OÖ 2. Klasse WestNord) ist der, über einen beträchtlichen Zeitraum von einem halben Jahr erzielte, sportliche Erfolg. Sollen diese Leistungen bei einer Annullierung der Meisterschaft einfach „null“ sein? Kann man ein halbes Jahr an Schweiß, Jubel, Tränen und Entbehrungen einfach mit einem Gutachten „wegwischen“ oder bedarf es aus Gründen der sportlichen Fairness eine rechtlich haltbare Alternative? Die Autoren dieser Zeilen sind zweiter Meinung.

Während das ÖFB-Präsidium die Österreichische Fußball-Bundesliga ermächtigte, den Spielbetrieb in den beiden höchsten Spielklassen unter Einhaltung der behördlichen Auflagen fortzusetzen (sog. Geisterspiele), wurden die derzeit ausgesetzten Bewerbe im Bereich der Landesverbände durch Beschluss abgebrochen. Darüber hinaus fasste das Präsidium den Beschluss, die Meisterschaften in den Landesverbänden bzw. die Regionalligen, an denen mehrere Landesverbände beteiligt sind, zu annullieren. Dies bedeutet, dass sämtliche bisher erbrachten Leistungen zu keiner Wertung führen. Es gibt weder Meister noch Absteiger, vereinfacht gesagt: Man tut so, als hätte die jeweilige Meisterschaft in der Saison 2019/20 niemals stattgefunden. Die Entscheidung des Präsidiums basiert auf einem Rechtsgutachten, welches der ÖFB bei Univ.--Prof. Dr. Martin Karollus, stellvertretender Institutionsvorstand für Unternehmensrecht an der JKU Linz, in Auftrag gegeben hat. Der ÖFB vermittelt dabei das Bild, als hätte man eine unvoreingenommene Außensicht eingeholt. Dies ist mitnichten der Fall. Als Vorsitzender des verbandsinternen „Ständig Neutralen Schiedsgerichtes“ hat Karollus in der Vergangenheit als letzte Instanz Entscheidungen der Bundesliga zur Vergabe oder Verwehrung von Lizenzen bestätigt oder aufgehoben. Vielmehr hinterlässt der Verband den Eindruck, als würde man gerne die eigene Entscheidung im Vorfeld rechtfertigen zu versuchen. Echte Verantwortung sieht anders aus. Ohne die zweifellos fundierte Sachkenntnis des Autors in Abrede zu stellen, ist hier die Vergabe des Gutachtens zu hinterfragen.

Aber zum Inhaltlichen: Das umfassende, 63-Seiten starke Werk, beschäftigt sich grundsätzlich mit den Rechtsfolgen, die aus der Abbruchentscheidung von Meisterschaften entwachsen können. Abschließend plädiert Karollus für die Annullierung der Saison ohne jede Wertung, da aus seiner Sicht keine überzeugenden und aus rechtlicher Sicht durchführbaren Alternativen vorliegen würden. Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, dass die Entscheidungen des ÖFB-Präsidiums in diesem Fall vorschnell und ohne ausreichende Prüfung von alternativen Lösungen, welche die sportliche Fairness entsprechend berücksichtigen, getroffen wurden.

Die Modi zur Durchführung des Meisterschaftsbetriebes im österreichischen Fußball sind in den Meisterschaftsregeln des ÖFB festgelegt (ÖFBMR). Regelungen der Landesverbände oder der Österreichischen Fußball-Bundesliga (ÖFBL) dürfen die „allgemeinen“ Regeln lediglich ergänzen, aber nicht abändern. Entscheidend ist, wie auch Karollus ausführt, dass die Regelungen für die Meisterschaft (insbesondere Auf- und Absteiger) bereits vor dem Beginn der Meisterschaft feststehen müssen und nachträglich (während der bereits laufenden Meisterschaft) nicht abgeändert werden können. Auch wenn dies nicht explizit in den ÖFBMR erwähnt wird, so ergibt sich ein Gebot der Vorbestimmtheit und Unabänderlichkeit der Regeln bereits aus dem allgemeinen Prinzip des Vertrauensschutzes und insbesondere aus den Grundsätzen für einen geordneten und fairen Wettbewerb. Allerdings ermächtigt § 10 Abs 4 ÖFBMR das ÖFB-Präsidium, aufgrund einer sachlichen Rechtfertigung (sportliche und wirtschaftliche Gesichtspunkte) mit Zweidrittelmehrheit eine Regeländerung in einer bereits laufenden Meisterschaft durchzuführen. Selbst wenn man das Vorliegen eines Abänderungsgrundes für den Eingriff in das Regelwerk eines bereits laufenden Wettbewerbes bejaht, führt dies für die meisten Vereine in Österreich zu keiner befriedigenden Lösung. Der springende Punkt, weshalb der Großteil der Meisterschaften, insbesondere das gesamte „Unterhaus“ nach dem Abbruch nicht gewertet werden kann, liegt in § 11 Abs 1 ÖFBMR. Demnach hat „jeder Verein gegen jeden anderen Verein seiner Klasse (Liga, Gruppe) in jedem Meisterschaftshalbjahr ein Spiel auszutragen“. Vereinfacht gesagt, ist das Kriterium einer Meisterschaft nicht erfüllt, wenn nicht mindestens eine vollständige Hin- und Rückrunde ausgetragen wurde. Mit Ausnahme der Tipico-Bundesliga, der Regionalliga West oder der Kärntner 2. Klasse D ist dieses Kriterium in kaum einer Meisterschaft erfüllt, weshalb eine Wertung auf Basis des aktuellen Tabellenstands rechtlich nicht in Betracht kommen wird.

Daher stellt sich nun die Frage, ob eine vollständige Annullierung der bisher in der Saison 2019/20 erzielten Ergebnisse die einzige Alternative darstellt. Die Corona-Krise hat unterschiedlichen Bereichen des täglichen Lebens gezeigt, dass eine Vorbereitung auf alle Eventualitäten nur eine Utopie sein kann. Die Abläufe in Politik, Wirtschaft, Kunst oder Sport folgen Prinzipien und Regeln, die aufgrund von Erfahrungen in einem ständigen Entwicklungsprozess festgelegt wurden. Die zahlreichen Verordnungen der Ministerien der Republik Österreich zeigen, dass selbst in einem modernen Rechtssystem bei unvorhersehbaren Ausnahmesituationen Lücken zu Tage treten, die selbst bei größtem Weitblick nicht vorherzusehen sind. Daher enthalten auch die ÖFBMR keine präzisen Regelungen, wie bei einem Abbruch der Meisterschaften vorzugehen ist. Diese „planwidrige Lücke“ im Regelwerk wird aber durch die Bestimmung des § 32 ÖFBMR geschlossen. Unter der plakativen Überschrift „Unvorhergesehene Fälle“ wird dem ÖFB-Präsidium eine „Notkompetenz“ (cit Karollus) eingeräumt, wonach „in allen in den Meisterschaftsregeln nicht vorgesehenen Fällen“ das ÖFB-Präsidium entscheidet. Wie Karollus im Rechtsgutachten zutreffend feststellte, ist dem Präsidium in diesem Fall ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen, wobei die allgemeinen Prinzipien (Vertrauensschutz, Gleichbehandlung der Vereine, Wahrung der Interessen der Verbände und Vereine, Berücksichtigung des Regulativs) entsprechend berücksichtigt werden müssen. Im Rahmen dieser Kompetenz hat der ÖFB auch beschlossen, die Meisterschaften in den Landesverbänden abzubrechen und zu annullieren. Diese, auf der Grundlage des zitierten Rechtsgutachtens getroffene Entscheidung, vor allem gestützt auf die schwach erscheinende Begründung der Alternativlosigkeit, ist jedoch aus unserer Sicht wenig überzeugend.

Dies wird am deutlichsten, wenn es um die Nennung der österreichischen Vertreter für die internationalen Bewerbe geht. Hier ist auch Karollus der Ansicht, dass die Abschlusstabelle der 1. ÖFBL herangezogen werden soll und nicht eine sportlich völlig zufällige Lösung via Los, Ergebnissen aus der Vergangenheit oder der nicht wünschenswerten Lösung gar keine Vertreter zu senden.

Dieser Ansicht kann sich nur vollinhaltlich angeschlossen werden. Weil 22 absolvierte Hin- und Rückrunden eben nicht „nichts“ sein sollten, sondern sehr wohl eine sportliche Aussagekraft haben. Nach der Ansicht der Autoren insbesondere auch mehr Aussagekraft als nunmehr drohende, völlig erratisch wirkende, Corona-Geisterspiele. Neben allen gesundheitlichen und ethischen Bedenken, die zurecht geäußert werden, soll hier die sportliche Wertigkeit mehr berücksichtigt sein, als bei einem völlig korrekt fertig gespielten Grunddurchgang?

Ein Schelm, der hier rein monetäre Anreize als wahre Motive vermutet. Die Krise sollte uns eigentlich gelehrt haben, dass dies nicht das Zentrum unseres Handelns darstellen soll.

Vielmehr ist der Grundsatz eines fairen sportlichen Wettbewerbs bei der Bewertung in den Fokus zu rücken. Die erbrachte Leistung auf dem Sportplatz ist die Quintessenz des sportlichen Wettbewerbs. Eine Annullierung der Meisterschaften würde dazu führen, dass die erzielten Ergebnisse über den Zeitraum eines halben Jahres im Nachhinein als gänzlich wertlos betrachtet werden. Da eine Wertung nach dem aktuellen Tabellenstand nicht infrage kommt, muss die sportliche Performance der Hinrunde 2019/20 anderweitig berücksichtigt werden. Dies könnte in Form einer Punktemitnahme in die neue Spielzeit 2020/21 vorgenommen werden. Mit Beginn der Herbstrunde 2020 starten die jeweiligen Meisterschaften, von der Bundesliga bis zur 2. bzw. 3. Klasse, in der selben Zusammensetzung wie 2019/20, allerdings mit dem zum Zeitpunkt des Abbruches vorhandenen Punktestandes. Dabei sind nur jene Runden zu werten, die von sämtlichen an der Liga teilnehmenden Vereine absolviert wurden. (Das heißt, dass Runden mit Spielabsagen außer Betracht bleiben, damit die numerische Gleichheit der absolvierten Runden gegeben ist.) Das Gebot der Vorbestimmtheit und der Unabänderlichkeit der Regeln wird dadurch gewahrt, dass die Regelungen bereits vor Beginn der neuen Meisterschaft vom Präsidium verbindlich festgelegt werden können. Da diese Regeländerung ausschließlich auf die Saison 2020/21 begrenzt ist, wird auch der offenkundige Sinn und Zweck des Regelwerks nicht beeinträchtigt. Auf den ersten Blick könnte diese Maßnahme gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Vereine verstoßen, da grundsätzlich jeder Teilnehmer am Wettbewerb mit den selben Startbedingungen in die Meisterschaft starten muss. Dieser Einwand lässt sich aber in Form einer wertenden Gesamtschau aller Umstände entkräften. Durch die Annullierung der Meisterschaft werden sämtliche sportliche Ereignisse eines halben Jahres ignoriert. Die Faktoren Glück und Pech werden durch den unbestreitbar alternativlosen Meisterschaftsabbruch für die künftige Ligazusammensetzung ohnehin stärker gewichtet als sportliche Gesichtspunkte. Der Tabellenführer ohne Punktverlust steigt nicht auf, während der punktlose Tabellenletzte, oder gar der Vereine, der in der abgebrochenen Meisterschaft den Spielbetrieb eingestellt hat, nicht absteigen muss. Dieses Ungleichgewicht gilt es unter Anbetracht aller sportlichen Wertvorstellungen auszugleichen. Die Mitnahme der in der abgebrochenen Saison erzielten Punkte – oder als Kompromissvorschlag zumindest die Mitnahme der halbierten Punkte – wäre eine Entscheidung, die den grundsätzlichen Sinn und Zweck des sportlichen Wettbewerbs berücksichtigt. In einem Interview mit ligaportal.at führte Herbert Buchroithner, Vizepräsident des Oberösterreichischen Fußballverbandes, auf die Frage nach einer mögliche Punktemitnahme aus: "Der ÖFB hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, wonach ganz klar hervorgeht, dass die Meisterschaft zu annullieren und nicht zu werten ist. Eine andere Möglichkeit hat es nicht gegeben. Eine Punktemitnahme hätte der gesetzlichen Grundlage widersprochen.[...]“ Während dem ersten Satz aufgrund des eindeutigen Wortlautes des Regulativs zuzustimmen ist, handelt es sich beim zweiten Teil des Zitats um eine falsche Ableitung aus dem Gutachten. Die Tatsache, dass Karollus auf die Möglichkeit einer Punktemitnahme mit keinem Wort eingeht, lässt keine Schlüsse auf die rechtliche Zulässigkeit zu.

Liebes Präsidium des ÖFB, es ist Zeit Verantwortung zu übernehmen. Sich nicht hinter Gutachtern oder dem Sportminister zu verstecken, sondern eine, unter Berücksichtigung aller Umstände, vernünftige, und die Gesundheit sowie die sportliche Fairness im Auge habende, Entscheidung zu treffen. Dafür sind „Entscheidungs“träger nämlich da. In Krisenzeiten und immer. 

Mag. Markus Medl
Mag. Markus Medl

parlamentarischer Referent im Europäischen Parlament


Mag. Andreas Mühleder
Mag. Andreas Mühleder

Jurist, Privatwirtschaft

 
Die beiden sportinteressierten Juristen und geprüften ÖFB-Verbandsschiedsrichter machen aus ihrem Gerechtigkeitsverständnis keinen Hehl.

 

 

Quellen:

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag der oben genannten Autoren. 

Fotos: Harald Dostal/fodo.media