In meinem heutigen Beitrag darf ich mit Harald Cerny ein spannendes Gespräch über mentale Themen im Fußball führen. Der ehemalige "Flügelflitzer" hat als einziger Österreicher sowohl für den deutschen Rekordmeister FC Bayern München als auch Lokal-Rivale TSV 1860 München gespielt und für beide Vereine wichtige Tore erzielt. Als jetziger Scout beim Bundesligisten 1. FC Köln, wo ja mit Dejan Ljubicic, Lous Schaub und Florian Kainz drei Österreicher und ehemalige Rapidler spielen, erzählt der 48-jährige, gebürtige Wiener über die Wichtigkeit der mentalen Arbeit im Fußball. Ein Gastbeitrag von Mentalcoach Wolfgang Seidl. 

Mentalcoach Seidl: Du bist First Team Scout beim 1 FC Köln. Wie geht es dir in Köln und was genau sind deine Aufgaben?

Harald Cerny: Vielen Dank, ich fühle mich beim 1. FC Köln sehr wohl. Ich kann hier im Scouting meine Erfahrungen aus 15 Jahren Fußballprofi und 10 Jahren als Trainer im professionellen Jugendfußball optimal einbringen. Wir sind froh, dass wir als Team im letzten Jahr viele Entscheidungen getroffen haben, die nicht ganz so schlecht waren (z.B. die Verpflichtung von Dejan Ljubicic von SK Rapid) und freuen uns jetzt über die daraus resultierende gute Hinrunde. Gleichzeitig sind wir schon in intensiven Vorbereitungen für die nächste Transferperiode im Sommer.  Ich selbst habe mein Büro im Süden von München, da ich hauptsächlich für die Regionen Österreich, Schweiz und Süddeutschland verantwortlich bin.

Mentalcoach Seidl: Wie sehr achtest du beim Scouting auf die mentalen Fertigkeiten von Spielern? Ist das ein Kriterium?

Harald Cerny: Wir versuchen beim Scouting natürlich alle Bereiche zu berücksichtigen. Je mehr Fakten man über einen Spieler hat desto bessere Entscheidungen kann man treffen. Da gehört die mentale Komponente natürlich auch mit dazu. Wir achten z.B. sehr darauf, wie sich ein Spieler in gewissen Spielsituationen verhält, versuchen aber auch an Infos zu kommen, wie der Spieler außerhalb des Platzes tickt, was für ein Typ Mensch er ist und ob er zur Mannschaft und zum Verein passt. Es hat sich gezeigt, dass es extrem wichtig ist, dass ein Spieler das richtige Mindset mitbringt.

Mentalcoach Seidl: Welche Wichtigkeit spielt die mentale Komponente für dich im Fußball?

Harald Cerny: Auch im Fußball ist die mentale Komponente sehr wichtig. Das Spiel wird immer schneller und du musst als Spieler in extrem kurzer Zeit, unter Druck die richtigen Entscheidungen treffen. Um im Profibereich seine Leistung abrufen zu können muss man mental stark und flexibel sein. Es nützt nichts, wenn der Körper funktioniert und der Kopf nicht mitmacht, oder umgekehrt. Darum ist es wichtig in allen Bereichen top vorbereitet zu sein.

Mentalcoach Seidl: Als Kenner der deutschen Bundesliga, würdest du sagen, dass die Klubs mentales Training bzw. sportpsychologische Maßnahmen zur Leistungssteigerung ihrer Spieler und Teams noch zu wenig einsetzen?

Harald Cerny: Da darf man nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt Vereine, die sich schon seit Jahren mit dem Thema intensiv auseinandersetzen, andere dagegen haben einen Sportpsychologen nur weil sie einen haben müssen. Es wurde in den letzten Jahren deutlich mehr in diese Richtung getan, aber es ist speziell im Nachwuchsbereich immer noch viel Luft nach oben. Mir fehlen die Normalität und die positive Wahrnehmung zu diesem Thema. Im physischen Bereich versuchen wir alles rauszuholen aber im psychischen Bereich liegt noch viel Potential begraben. Es sollte eigentlich ganz normal sein, dass jede Mannschaft neben dem Fitnesstrainer auch einen Mentaltrainer im täglichen Trainingsbetrieb dabei hat.  In anderen Sportarten ist das Normalität, im Fußball leider in den meisten Fällen noch nicht. Aber das ist ja nicht nur im Fußball so, auch im „normalen“ Leben wirst du immer noch komisch angeschaut, wenn du dich mental oder psychologisch coachen lässt.

Mentalcoach Seidl: Woran könnte das liegen? Ist es vielleicht, dass Trainer nicht gerne Kompetenzen abgeben?

Harald Cerny: Natürlich gibt es auch noch sehr viele Trainer, die dafür noch nicht offen sind oder Angst haben Kompetenzen abzugeben. Die Toptrainer dagegen haben erkannt, dass sie Kompetenzen abgeben müssen, um den nächsten Step zu machen und haben sich in allen Bereichen Spezialisten ins Team geholt, die Hand in Hand zusammenarbeiten.

Mentalcoach Seidl: Als ehemaliger Bundesliga Profi weißt du selbst, wie schwer der Weg vom Nachwuchsspieler zum Profi ist. Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zum Profi und könnte eine präventive mentale Vorbereitung der Spieler, den Weg erleichtern?

Harald Cerny: In den 10 Jahre als Trainer im Jugendbereich beim FC Bayern und bei 1860 München habe ich sehr intensiv die Entwicklungen von hochtalentierten Spielern verfolgt und festgestellt, dass für die meisten Jungs der Übergang vom Jugendbereich in den Erwachsenenbereich die größte Herausforderung darstellt und an dieser Stelle die meisten scheitern. Oft ist das der Zeitpunkt an dem die Top-Talente das erste Mal auf große Widerstände treffen und nicht wissen wie sie damit umgehen sollen. Ich bin überzeugt, dass es den Jungs helfen würde, wenn sie auch auf diesen Schritt mental vorbereitet sind und jemanden an der Seite haben an den sie sich wenden können.

Mentalcoach Seidl: Hast du in deiner Karriere je mit einem Mentalcoach/Sportpsychologen zusammengearbeitet?

Harald Cerny: Ja, wir hatten am Anfang als ich zu 1860 München gekommen bin mal einen Sportpsychologen im Trainingslager mit dabei, haben aber größtenteils im regenerativen Bereich und als Team mit ihm gearbeitet. Ich hatte nur eine persönliche Einheit mit ihm, aber damals war ich auch noch nicht offen dafür und habe das Potential für mich leider nicht erkannt.

Mentalcoach Seidl: Was ist deine persönliche Empfehlung an Nachwuchsspieler, die den Weg in den Profifußball anstreben?

Harald Cerny: Nie zu vergessen warum man angefangen hat Fußball zu spielen, nämlich aus Spaß und Begeisterung! Sich auf seine absolute Stärke fokussieren und überlegen, wie man sie am besten auf den Platz bekommt. Sich mit dem Erreichten nie zufrieden geben. Eigenverantwortung für sich und seine Karriere zu übernehmen. Da gehören für mich auch Themen neben dem Fußball wie Ernährung, Regeneration, Schlaf und Mentaltraining dazu. Und wenn der Verein das nicht anbietet, würde ich jedem Spieler empfehlen sich Leute zu suchen die einem in diesen Bereichen weiterhelfen, je früher desto besser. Auch ein gutes Vorbild zu haben finde ich hilfreich für junge Spieler. Ich würde aktuell Robert Lewandowski oder Joshua Kimmich empfehlen. Zwei absolute Vollprofis und Vorbilder auch außerhalb des Platzes.

Mentalcoach Seidl: Würdest du Spielern, die den Sprung in den Profibereich schaffen, empfehlen neben ihrer Karriere eine Ausbildung zu machen?

Harald Cerny: Ich finde es sehr wichtig sich neben dem Fußball mit Themen zu beschäftigen die einen interessieren um sich als Person und beruflich weiterzubilden und gleichzeitig einen Ausgleich zu schaffen.  Denn die Zeit nach der Karriere kommt schneller als man denkt. Und wenn ich mich schon frühzeitig darauf vorbereite, bin ich während meiner Laufbahn entspannter, was das Thema angeht und spare mir danach viel Zeit.

Mentalcoach Seidl: Der ehemalige Arsenal Spieler und deutsche Fußball-Weltmeister von 2014 - Per Mertesacker - schrieb in seinem Buch, dass in seiner Zeit als Profi sein Körper mindestens einmal im Jahr streikte. Er führte das auf die hohe mentale Belastung zurück. Wie siehst du als ehemaliger Profi die mentale und körperliche Belastung der Profis heute und wie können sich die Spieler am besten darauf vorbereiten?

Harald Cerny: Bei Spielern wie Per, die in England über 50 Saisonspiele absolvieren, keine Winterpause haben und einer Nationalmannschaft angehören, die alle zwei Jahre an einer EM oder WM teilnimmt, dann ist die Gesamtbelastung schon extrem hoch. Aber das Thema mentale Belastung und Druck ist sehr individuell. Jeder geht mit Druck anders um. Deshalb wäre es auch in diesem Fall gut jemanden bei der Mannschaft zu haben, der weiß wie jeder einzelne Spieler „tickt“ und dementsprechend Hilfestellungen geben kann. Ich habe, gottseidank, den Druck nie als extreme Belastung empfunden, kann aber total nachvollziehen und kenne auch viele Spieler, denen es genauso geht wie Per. Ich habe immer versucht mit Spaß und Begeisterung an die Sache ranzugehen und habe Druck eher als Herausforderung und als Privileg gesehen. Es war immer mein Traum in vollen Stadien „wichtige“ Spiele zu spielen, da wollte ich immer hin. Das habe ich mir immer wieder vor Augen geführt. Ein weiterer ganz wichtiger Faktor war für mich auch, dass ich sobald ich bei meiner Familie war, gut abschalten konnte, denn zuhause war Fußball fast nie Thema.

Mentalcoach Seidl: Was sind deine weiteren beruflichen Ziele?

Harald Cerny: Mir macht meine Arbeit beim 1. FC Köln sehr großen Spaß, ich arbeite in einem tollen Team und habe noch Vertrag bis Sommer 2023. Darüber hinaus mache ich mir noch keine Gedanken. Das Fußballgeschäft ist so schnelllebig, da kann man nicht so weit vorausplanen. In meiner Freizeit beschäftige ich mich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Talentscouting, Talententwicklung und Talentmanagement, auch in Bezug auf die Wirtschaft und was man als Firma oder Konzern daraus lernen und implementieren kann.

Mentalcoach Seidl: Lieber Harald, ich danke dir für dieses Gespräch.

MANA4YOU

Wolfgang Seidl, MBA
Akademischer Mentalcoach
Dipl. Teamentwickler
HeartMath®Coach

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