Die Sommerpause steht an, Langeweile ist vorprogrammiert. Zwar wird noch eine nicht ganz unwichtige Weltmeisterschaft ausgespielt, doch bekanntermaßen haben wir damit in diesem Jahr nicht viel zu tun. Warum also nicht einen Ausflug in die internationale Fußballvergangenheit wagen, um ein wahres Highlight hervorzukramen? Anfang 2019 wird das wohl verrückteste Fußballspiel aller Zeiten seinen 25. Jahrestag feiern.

 

Wir schreiben den 27. Jänner 1994. In gut fünf Monaten steht die Weltmeisterschaft 1994 in den USA auf dem Programm (ebenfalls ohne Österreich) und in knapp zweieinhalb Jahren wird Oliver Bierhoff für Deutschland das erste (und letzte) Golden Goal der ruhmreichen FIFA Historie erzielen.

Doch war es tatsächlich das erste Golden Goal? Mitnichten, denn Historisches sollte sich ereignen an diesem Tag im Jänner in der Karibik. Auf dem Spielplan steht ein Klassiker: Barbados gegen Grenada. Im Anschluss sollten ausgewählte Gazetten wie der britische Guardian und die Times vom „verrücktesten Spiel der Fußballgeschichte“ sprechen.

Kurzer Einwurf: Wer immer schon mal die Karibik bereisen wollte, und das ganz ohne Sechser im Lotto, der kann es mit Grenada versuchen. Dazu gehe man vorzugsweise an einem frühen Montagmorgen, wahlweise späten Freitagnachmittag an einen Counter der British Airways und buche einen Flug nach Granada in Spanien. Die Chancen stehen nicht ganz schlecht einen Freiflug in die Karibik zu erhaschen, doch das ist eine andere Geschichte.

Die Karibik schreibt Fußballgeschichte

Zurück zum Fußball. Es begab sich also, dass die zwei angesprochenen Fußballmächte, Barbados und Grenada (derzeit Platz 160 und 171 der FIFA Weltrangliste), um den Einzug zur Karibikmeisterschaft 1994 spielten. Die Ausgangslage war klar. Barbados brauchte einen Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied, um die Endrunde zu erreichen. Jedes andere Ergebnis würde für Grenada zur Qualifikation reichen.

Die Heimmannschaft begann stark und ging relativ schnell mit 2:0 in Führung, es würde reichen. Doch die Elf Grenadas schlug bemerkenswert und spät zurück. In der 83. Minute stand es plötzlich 2:1, die Grenader standen mit einem Bein in der nächsten Runde.

Was war zu tun aus Sicht der Barbadier? Klar, ein Tor musste her, doch die Zeit lief ihnen davon. Tapfer gab man die Hoffnung nicht auf, aber die Abwehr der Grenader stand sicher.

Wie war das gleich mit dem Golden Goal?

Da besann man sich einer vor der Qualifikationsphase kurzfristig eingeführten Regeländerung und nun wurde es interessant. Bei einem Unentschieden, so sah es das Regelwerk vor, sollte eine Verlängerung mit der neuen Golden-Goal-Regel ausgespielt werden. Um es noch interessanter zu gestalten, sollte dem Team, welches das goldene Tor erzielen würde, ein weiterer Bonus zukommen. Denn dieses Tor, so entschieden die findigen Funktionäre des Karibik-Verbandes, würde auch noch doppelt zählen. Inwiefern das Sinn ergab beziehungsweise in welchem Zustand die Entscheidungsträger am Tag dieser bahnbrechenden Regelerweiterung waren, ist nicht überliefert.

Schlau, wie die Barbadier nun mal sind und im Angesicht des bevorstehenden Ausscheidens, trat man im wahrsten Sinne des Wortes den Rückzug an und erzielte unter den verdutzten Blicken der anwesenden Inselbewohner ein sauber herausgespieltes Eigentor - die 88. Minute lief. Doch auch die Grenader waren nicht auf den Kopf gefallen. Sie rochen den Braten, denn im Falle der sich anbahnenden Verlängerung könnte Barbados mit nur einem Tor den benötigten Zwei-Tore-Abstand herstellen. Es blieben also noch zwei Minuten plus Nachspielzeit, um dieser Konstellation aus dem Weg zu gehen. Man musste zwingend selbst noch ein Tor erzielen, doch paradoxerweise egal auf welcher Seite.

Vorne oder hinten? Egal, schießt einfach ein Tor!

Was nun folgte, war der Höhepunkt dieses verrückten Fußballspiels. Denn während Grenada verzweifelt versuchte auf egal welcher Seite ein Tor zu erzielen, setzten die Barbadier natürlich alles daran, ebendies zu verhindern. So verteidigten sie wacker sowohl das eigene als auch das gegnerische Tor. Sie sollten tatsächlich Erfolg haben, erreichten schließlich die ersehnte Verlängerung und erzielten dort das benötigte „doppelte“ goldene Tor.

Der frustrierte Trainer von Grenada gab nach der Partie zu Protokoll: „Unsere Spieler wussten nicht einmal, welches Tor sie attackieren sollten - unser eigenes oder das des Gegners. Ich habe das noch nie zuvor gesehen. Im Fußball sollst du gegen deinen Gegner treffen, um zu gewinnen, nicht für ihn!“

Barbados erreichte also die Endrunde der Karibikmeisterschaft, belegte dort in der Gruppenphase den dritten Platz und schied somit aus dem Turnier aus. Die obskure Regel war insgesamt fünf Mal während der Qualifikationsphase angewandt worden und wurde danach wenig überraschend sofort wieder abgeschafft.

Das Schlusswort dazu soll noch einmal dem Trainer der Grenader gebühren: „Die Person, welche diese Regeln erfunden hat, muss ein Kandidat fürs Irrenhaus sein“. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, auch wenn wir uns 25 Jahre danach noch an einem besonders verrückten Schmankerl der Fußballgeschichte erfreuen können.