Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass Generalanwalt Athanasios Rantos seine Schlussanträge in der Rechtssache „European Superleague Company“ (C-333/21) ausgerechnet am 15. Dezember 2022 vortrug. Exakt auf den Tag genau vor 27 Jahren, am 15. Dezember 1995, sorgte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit seinem Urteil in der Rechtssache „Bosman“ für eine der größten Revolutionen in der Geschichte des europäischen Profifußballs. Dass ein Fußballspieler nach Ablauf seines Vertrages nicht ablösefrei zu einem anderen Verein wechseln darf, wirkt aus heutiger Sicht ebenso geradezu anachronistisch, wie willkürliche Restriktionen gegen ausländische Spieler.

 

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Hintergründe des juristischen Zweikampfes  

War es vor 27 Jahren mit Jean-Marc Bosman ein belgischer Zweitligaprofi der den Rechtsweg bestritt, so kämpft in der aktuellen Causa eine Allianz der übrig gebliebenen Superleague-Initiatoren Real Madrid, FC Barcelona und Juventus Turin mit federführender Unterstützung durch das spanische Beratungs- und Lobbyunternehmen A22-Sports gegen die FIFA und die UEFA. Die Hintergründe sind wohl hinlänglich bekannt, weshalb wir uns an dieser Stelle mit einem kurzen Umriss begnügen werden: Nachdem ursprünglich zwölf Clubs im April 2021 die Gründung einer Superleague verkündeten, haben FIFA und UEFA die Warnung ausgesprochen, dass jeder an diesem neuen Wettbewerb teilnehmende Spieler oder Verein von den von der FIFA und ihren Verbänden organisierten Wettbewerben ausgeschlossen werde. Der Plan wurde nach starken Protestens von Verbänden und Ligen, insbesondere aber von den Fans in England, zwar bereits nach wenigen Stunden wieder verworfen, die drei oben genannten Vereine hielten aber an ihren Plänen fest und erhoben beim Handelsgericht Madrid (Juzgado de lo Mercantil de Madrid) Klage gegen die Verbände. Nach Ansicht der European Superleague handelten die FIFA und UEFA durch Widersetzung gegen die Gründung und Sanktionsandrohung wie ein Kartell. Das spanische Gericht beschäftigte den EuGH mit der Frage, ob gewisse Bestimmungen in den Statuten der FIFA und UEFA sowie die Strafandrohungen gegen abtrünnige Clubs gegen Unionsrecht, insbesondere gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen und den Grundfreiheiten verstoße. Vereinfacht ausgedrückt, stellt sich die Frage, ob die Monopolstellung von FIFA und UEFA mit dem EU-Recht vereinbar ist bzw. auf dessen Basis gerechtfertigt werden kann. 

Das Europäische Sportmodell im Fokus  

Seit dem Aufkommen des Fußballsports gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wurde der Mannschaftssport in Mitteleuropa in Vereinen ausgeübt, welche wiederum übergeordneten Sportverbänden angehören. Kennzeichnend für dieses „europäische“ Sportmodell ist eine pyramidenförmige Organisationsform, nach welcher für jede Sportart sowohl in fachlicher als auch in geographischer Hinsicht nur ein einziger Verband zuständig ist. (sog. „Ein-Platz-Prinzip“). Die Verbandspyramide ist dadurch geprägt, dass einer übergeordneten Institution eine verbindliche Regelungs- und Durchsetzungskompetenz zuerkannt wird und somit der Fußballsport eine kartellähnliche, monopolartige Struktur aufweist. Konkret bedeutet das, dass die Regelsetzung übergeordneter Fachsportverbände von allen hierarchisch daruntereingeordneten Verbänden bis zu den einzelnen Sportvereinen und dessen Mitgliedern an der Basis anerkannt und durchgesetzt werden muss. Dies ist erforderlich, um einmöglichst einheitliches Sportregelwerk zu statuieren, nach welchem die Wettbewerbe zu bestreiten sind. Konkret bedeutet das zum Beispiel für den österreichischen Fußball: 

FIFA

UEFA (als kontinentaler Verband für Europa)

ÖFB

Verband des jeweiligen Bundeslandes (Wiener Fußballverband, OÖ Fußballverband, etc.) 

Jeder untergeordnete Verband ist verpflichtet, die Statuten und Entscheide des höherrangigen Verbandes zu befolgen. Das heißt, der ÖFB muss die Vorgaben der UEFA umsetzen. Eine weitere Besonderheit des Europäischen Sportmodells ist das Solidarprinzip, wonach Einnahmen „von oben nach unten“ verteilt werden. 

Durch die Tatsache, dass nach dem „Ein-Platz-Prinzip“ auf jeder Ebene nur ein einziger Verband (Weltverband FIFA, Kontinentalverband UEFA, usw.) zuständig ist, liegt unzweifelhaft eine monopolistische Organisationsstruktur des Fußballsports in Europa vor. Dass diese starken Monopolstellungen zu gewichtigen Problemen wie Machtmissbrauch und Intransparenz, man denke nur an die Vergabe der WM an Katar, führen kann, heizt die Debatte zusätzlich an. Die entscheidende Frage ist aber: Verstoßen die Verbände durch ihre Monopolstellung gegen die Bestimmungen des EU-Wettbewerbsrechts? 

Mögliche Zäsur: EuGH könnte für nachhaltige Rechtssicherheit sorgen 

Zunächst gilt festzuhalten, dass die Schlussanträge der EuGH-Generalanwälte bloße Entscheidungsvorschläge sind, die rechtlich keine bindende Wirkung entfalten. In der Praxis folgt jedoch der EuGH in der Regel den Empfehlungen, auch wenn es in der Vergangenheit immer wieder zu überraschenden Entscheidungen kam. Kurz zusammengefasst dürfe die European Superleague Company nach den Ausführungen von Generalanwalt Rantos zwar ihren eigenen, unabhängigen Wettbewerb außerhalb der Verbandsstruktur gründen. Die Vereine dürfen jedoch nicht ohne vorheriger Genehmigung weiterhin an den Wettbewerben der FIFA oder UEFA teilnehmen. Konkret bedeutet das, dass ein Verein, der an der Superleague teilnimmt zB von der Teilnahme an der UEFA Champions League ausgeschlossen werden kann. Eine weitere wichtige Aussage liegt darin, dass zwar gegen Vereine von der FIFA/UEFA Strafen verhängt werden können, eine Sanktionierung von einzelnen Spielern aber jedenfalls unverhältnismäßig ist. 

Eine sportrechtliche Zäsur könnte die Interpretation des Artikels 165 AEUV, in welchem die „Besonderheiten des Sports“ primärrechtlich verankert sind, bedeuten. Rantos sieht in dieser Bestimmung die „verfassungsrechtliche Anerkennung des europäischen Sportmodells“. Das bedeutet explizit, die Anerkennung des pyramidenartigen Aufbaus mit dem Profisport an der Spitze und dem Amateursport an der Basis sowie des Systems der finanziellen Solidarität zwischen den Ebenen. Ein weiteres wesentliches Ziel sind offene Wettbewerbe, wo durch Auf- und Abstiege der sportliche Leistungsgedanke zum Ausdruck kommt. Letztendlich zieht Rantos Art. 165 AEUV entgegen der herrschenden Lehre als Schranke heran: Der Profisport sei zwar eine wirtschaftliche Tätigkeit, ist jedoch aufgrund der in Art 165 explizit angeführten Besonderheiten, insbesondere aufgrund sozialer Gesichtspunkte, anderes als „gewöhnliche“ Wirtschaftszweige zu betrachten. Auf den Punkt gebracht: Selbst wenn Bestimmungen der Verbände gegen europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht verstoßen, könnten sie durch die primärrechtlich verankerten „Besonderheiten des Sports“ (Art 165 AEUV) gerechtfertigt werden. Sollten die 15 Richterinnen und Richter der Großen Kammer in Luxemburg dieser Argumentation in ihrem für das erstes Quartal 2023 erwarteten Urteil folgen, könnte dies das europäische Sportmodell nachhaltig einzementieren. Diese Entscheidung wäre auch richtungsweisend für andere Regelungen von Sportverbänden und Ligen, die in einem Spannungsverhältnis zu geltendem Unionsrecht stehen. Insbesondere die 50+1-Regel der Deutschen Fußballliga, die auch von der Österreichischen Bundesliga eingesetzt wird, stand wegen der Einschränkung von Grundfreiheiten in der Vergangenheit wiederholt am sport-öffentlichen Pranger. Mit dem Unterschied, dass trotz des medialen Donnergrollens von Clubverantwortlichen noch niemand ein Gericht angerufen hat...

Ein Gastkommentar von Mag. Markus Medl, Jurist, Referent im Ausschuss für Kultur, Bildung, Sport, Medien und Jugend im Europäischen Parlament Brüssel/Strasbourg.

Medl Fußball

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