Er ist in den 112 Jahren des Österreichischen Fußball-Verbandes der 30. ÖFB-Teamchef, führte seit seiner Amtsübernahme vor zwei Jahren am 3. Juni 2022 Rot-Weiß-Rot eindrucksvoll zur in wenigen Tagen beginnenden EURO (14. Juni - 14. Juli) in seinem Heimatland Deutschland und entfachte in der Alpenrepublik dank der Erfolge und couragiertem, attraktivem Fußball-Stil eine Euphorie: Ralf Rangnick. Der 65-jährige Deutsche ist nach Landsmann Franco Foda und dem Schweizer Marcel Koller der dritte ÖFB-Teamchef in Folge aus dem Ausland, war zuvor schon "Mastermind" in anderer Funktion beim FC Red Bull Salzburg

Hat in zwei Jahren schon einiges bewegt und das Vertrauen des ÖFB gerechtfertigt: Teamchef Ralf Rangnick. Für den in einer Woche das erste große Turnier mit einer Nationalmannschaft ansteht, eine wahre Challenge für den 65-jährigen Deutschen in seinem Heimatland in einer EM-Hammergruppe mit Frankreich, Polen und den Niederlanden.

Starker Tobak von CR7 kontra Ralf Rangnick

Dass Ralf Rangnick auch mit schwierigen Charakteren klarkommt, hat der am 29. Juni 1958 im kleinen süddeutschen Backnang (30 km südöstlich von Stuttgart) geborene Deutsche schon oft bewiesen. Auch wenn sich der selbstinszenierende, dreimalige "Weltfußballer des Jahres" Cristiano Ronaldo nach gemeinsamer Zeit beim englischen Rekordmeister Manchester United respektlos im November 2022 in einer TV-Show über den Trainer-Routinier äußerte: „Ich hatte noch nie von ihm gehört. Wenn du nicht mal ein Trainer bist, wie kannst du dann Trainer von Manchester United sein?“

Statt FC Bayern weiter beim ÖFB

Doch Trainer war der Schwabe nicht nur beim englischen Rekordmeister (interimistisch vom 3. Dezember 2021 bis 31. Mai 2022), sondern sollte es heuer auch beim deutschen Rekordmeister FC Bayern werden. Doch dem Werben und Lockruf - siehe auch HIER - seines Ex-Kollegen vom FC Red Bull Salzburg, Christoph Freund (FC Bayern-Sportdirektor), und den Verantwortlichen der "Mia-san-Mia"-Münchner widerstand Ralf Rangnick, um bei seiner erstmaligen Tätigkeit als Nationaltrainer den eingeschlagenen Weg mit Österreich fortzusetzen und nach der EURO in Deutschland das Team erstmals seit 1998 wieder zu einer WM führen zu wollen (2026 in USA, Mexiko, Kanada).

Zuvor hatte er schon mit Erfolg diverse Klub-Mannschaften gecoacht. Nach seinem Abitur am Max-Born-Gymnasium in seiner Heimatstadt Backnang begann der damals 19-Jährige im Jahr 1977 an der Universität Stuttgart ein Lehramtsstudium für Sport und Englisch und spielte in jener Zeit für die Amateure des VfB Stuttgart (bei den Profis ging zu dem Zeitpunkt der "Stern" vom nur ein Jahr älteren Hansi Müller auf), um zuvor als A-Jugendlicher in die Auswahl des Württembergischen Fußball-Verbandes berufen zu werden.

Vorbild futuristischer Fußball-Stil Dynamo Kiew in 80igern

Nach einem Studienaufenthalt in England fungierte Rangnick von 1983 - 1985 bei Viktoria Backnang als Spielertrainer und schaffte mit seinem Heimatverein den Durchmarsch von der Bezirks- bis in die Verbands-Liga, um zwischenzeitlich 1984 an der Sporthochschule Köln im Lehrgang als Jahrgangsbester mit einem Notendurchschnitt von 1,2 die Fußball-Lehrer-Lizenz zu erwerben. Inspirieren ließ sich das Trainer-Talent, als er vor 40 Jahren im Trainingslager mit Viktoria Backnang beobachtete, wie der legendäre Walerij Lobanowskyj mit Dynamo Kiew den Fußball mit Viererkette und Pressing revolutionierte. 

Mit gerade mal 27 Jahren wurde Ralf Rangnick 1985 Trainer der Amateure vom Bundesligisten VfB Stuttgart. Von 1987 an folgten Stationen bei Lippoldsweiler (Spielertrainer, 87/88), SC Korb (1988-1990), ehe es zurück zum VfB ging. Als U19-Trainer (1990 - 1992) und Sportkoordinator (1992-1994). Hernach folgte der sukzessive Aufstieg des "Fußball-Professors", wie er später mal tituliert wurde.

Im Sommer 1995 übernahm Ralf Rangnick den SSV Reutlingen und führte die Baden Württemberger auf Anhieb auf Rang 4, nachdem der Klub in der Vorsaison knapp dem Abstieg entkommen war.

In jener Zeit ist der Autor dieser Zeilen als freier Mitarbeiter des Kicker Sportmagazin und der DPA (Deutsche Presse Agentur) dem aufstrebenden Trainer-Youngster erstmals und dann wiederholt begegnet. In Nordhessen bei Gastspielen der Reutlinger beim SC Neukirchen bzw. jenen von Rangnicks nächstem Verein, dem SSV Ulm, beim KSV Hessen Kassel. Der moderne Fußball-Stil des Visionärs war unübersehbar. Rangnick zweifellos ein Vorreiter und in Interviews stets profunder, sachlicher und angehmer Statementgeber. 

Mit den Ulmern feierte Rangnick nach zuvor der Deutschen A-Junioren-Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart (1991) seinen zweiten Titel, gewann 1997 das Endspiel um den WFV-Pokal gegen den VfL Kirchheim/Teck und stieg außerdem mit den Universitätsstädtern in die 2. Bundesliga auf. Zu Saisonbeginn als Abstiegskandidat gehandelt, etablierten sich die "Spatzen" an der Ligaspitze und blieben bis dahin von allen Mannschaften im deutschen Profifußball am längsten unbesiegt.

Ralf Rangnick hat sich in seinem Fußballer-Leben schon viele Gedanken gemacht über Taktik und optimierten Spielstil. Erlernte mit 25 Jahren bereits das Trainer-Handwerk, anfangs in Personalunion als Spieler und Trainer.

Etikette "Fußballprofessor" / Häme in Kassel

Durch die Erfolge mit seinem innovativen Spielsystem gab es Diskussionen um moderne Fußballtaktik, war der eigenwillige Trainer längst zu einem vielgefragten medialen Interviewpartner und begehrten Trainerkandidaten avanciert. Aufgrund eines Auftritts im ZDF-Sportstudio am 19. Dezember 1998, bei dem Rangnick in epischer Tiefe die Taktiken eines Spiels sehr ausführlich an einer Tafel erklärte, wird er bis heute als „Fußballprofessor“ bezeichnet.

Sein Erfolg gab ihm Recht, sein Trainer-Aufstieg war unaufhaltsam. Traditionsvereine klopften an. Über den VfB Stuttgart und Hannover 96 ging es im September 2004 zum FC Schalke 04, nachdem dort Jupp Heynckes entlassen wurde. Rangnick führte die "Knappen" in der Hinrunde an die Tabellenspitze, punktgleich mit dem FC Bayern. Obwohl die Münchner in Runde 25 gar besiegt wurden, kosteten vier Niederlagen auf der Zielgeraden den Schalkern den Meistertitel. In der folgenden Saison 2005/06 folgte dann das frühe Ausscheiden in der Champions League und im DFB-Pokal (mit einer 0:6-Klatsche gegen Eintracht Frankfurt). Im Dezember wurde Rangnick beurlaubt.

Um dann mit der Saison 2006/2007 ein neues, höchstspannendes Klub-Kapitel aufzuschlagen - bei der damals drittklassigen TSG Hoffenheim. Den "Dorfklub" aus der 3.266-Seelen-Gemeinde unweit vom malerischen Heidelberg um den jovialen Mäzen Dietmar Hopp führte Rangnick in zwei Jahren von der Regionalliga Süd per Durchmarsch in die Bundesliga. Der Start in Liga 3 verlief holprig. Damals war ich Pressereferent beim KSV Hessen Kassel. Der Traditionsklub aus Nordhessen hatte im Mai 2006 in einem dramatischen letzten Spiel dem FSV Frankurt in der Oberliga Hessen noch den Titel weggeschnappt und damit auch den Aufstieg.

Im ersten Heimspiel im August 2006, das Fußball-WM-Sommermärchen in Deutschland hallte noch nach, gastierte mit der TSG Hoffenheim (mit Mittelfeldspieler Sebastian Hoeneß, später selbst Cheftrainer bei der TSG und in der abgelaufenen Saison 2023/24 sensationell Vizemeister mit dem VfB Stuttgart) einer der Aufstiegs-Top-Favoriten für die 2. Liga im Auestadion. Vor 8.500 Zuschauern siegten die Kasseler Löwen an jenem Mittwochabend des 6. August am 2. Spieltag mit 1:0. Ralf Rangnick wurde damals mit viel Häme von den KSV-Fans empfangen und während des Spiels begleitet, was ihn auch am Samstagabend darauf noch als Gast im ZDF-Sportstudio beschäftigte, wo er sein Unverständnis zum Ausdruck brachte. Es zeigt die sensible, menschliche Seite von ihm. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel hatte ich mich damals im Namen des KSV Hessen Kassel bei Rangnick entschuldigt.

In BL-Premierensaison auf Anhieb Herbstmeister / Inter in Champions League besiegt

Die rasante Entwicklung mit den Hoffenheimern nahm dank des Erfolgstrainers ihren Lauf. Bereits im ersten Bundesliga-Jahr der Klubgeschichte wurden die Sinsheimer Herbstmeister, fielen dann in der Rückrunde aber auf Rang 7 ab. Nach Platz 11 in der zweiten BL-Saison wurde die Hinrunde 2010/2011 auf Platz 8 abgeschlossen, worauf Rangnick noch am Neujahrstag 2011 zurücktrat.

Es folgte am 21. März des Jahres die Rückkehr zum FC Schalke 04, als Nachfolger von Felix Magath. Mit dem Ruhrpott-Klub sorgte Rangnick im Champions League-Viertelfinale für Furore und Historisches, als Titelverteidiger Inter Mailand in Hin- und Rückspiel mit 5:2 und 2:1 besiegten wurden. Im Halbfinale war dann gegen Manchester United Endstation, um am Saisonende national in Berlin den Gewinn des DFB-Pokal zu feiern.

Burnout im Herst 2011

Am 22. September 2011 beendete der damals 53-Jährige seinen Vertrag wegen eines Burnout-Syndroms mit sofortiger Wirkung. Wettbewerbsübergreifend holte er in seinen beiden Amtszeiten (88 Spiele) beim FC Schalke 1,82 Punkte pro Spiel, was seit Beginn der Bundesliga bisher keinem anderen ehemaligen Trainer mit einer mindestens vergleichsweise langen Amtszeit bei den Gelsenkirchenern gelang.

Rangnicks Bilanz in den bisher zwei Jahren als ÖFB-Teamchef kann sich sehen lassen: In 22 Spielen gab es 13 Siege, vier Remis und fünf Niederlagen; Punkteschnitt: 1,95. Seit sieben Spielen sind Laimer & Co. unbesiegt, nach sechs Siegen en suite gab´s am Samstag bei der EM-Generalprobe ein 1:1 in der Schweiz.

2012 bis 2015 Basis geschaffen für Salzburger Serienmeisterschaften

Ende Juni 2012 wurde Ralf Rangnick nach 10-monatiger Auszeit als neuer Sportdirektor beim FC Red Bull Salzburg vorgestellt und war außerdem auch für die Entwicklung von RB Leipzig zuständig. Bei den Sachsen beurlaubte er damals Trainer Peter Pacult und in Salzburg verpflichtete er Roger Schmidt als Cheftrainer. Der kurz darauf mit den Roten Bullen am luxemburgischen Verein FC Düdelingen in der Champions-League-Quali scheiterte. In seiner dreijährigen Zeit als Sportdirektor von RB Salzburg (2012 - 2015) gewann Rangnick zwei Mal das Double und gilt heute noch als Architekt & Wegbereiter, dass die Mozartstädter zehn Mal in Folge Meister wurden.

Bei RB Leipzig ging es für ihn dann auch zwei Mal wieder zurück auf die Trainerbank, ehe er in der Saison 2019/2020 als Global Sports Director für die Messestädter und deren Partnerklubs RB Bragantino (im brasilianischen Bundesstaat São Paulo) und New York Red Bulls u.a. auch Flugmeilen sammelte. Von Juli bis Ende November 2020 folgte das halbjährige Intermezzo als Sportdirektor bei Lok Moskau. Nachdem es dann ruhig um ihn wurde, kehrte Rangnick Anfang Dezember 2021 nach fast zweieinhalb Jahren in den Trainerjob zurück und übernahm interimistisch bis zum Ende der Saison 2021/22 Manchester United. Anschließend sollte er den "Red Devils" für zwei Jahre in beratender Funktion erhalten bleiben.

Macher, Motivator und Mahner zugleich

Doch dann kam die Offerte als ÖFB-Teamchef und brachte der Taktik-Fuchs Rot-Weiß-Rot wieder in die Erfolgsspur, um zugleich eine Euphorie im Lande zu entfachen. Auch wenn Ralf Rangnick Leistungsträger wie David Alaba & Xaver Schlager sowie Einser-Goalie Alexander Schlager bei der EM nicht zur Verfügung stehen werden und er durchaus auch Mahner sein kann sowie als bodenständig gilt, wird er sich noch - damals als Zuschauer - an das "Fußball-Sommer-Märchen" 2006 in Deutschland erinnern.

Und wer weiß... vielleicht schreibt der ehrgeizige Trainer ja diesmal mit Österreich eines...! Zuzutrauen ist es ihm! Und zu wünschen ist ihm, dass er an seinem 66. Wiegenfest am Samstag, den 29. Juni, wenn die K.o.-Runde läuft, noch mit dem ÖFB-Team im Turnier ist...! Im Fußball kann viel passieren... wenn´s einer weiß, dann er: Ralf Rangnick.

Autor: Herbert Pumann

Fotos Christian Fauland