Kolumne: "Pseudo-Talente" im Fußball-Unterhaus

In seiner Kolumne "Franky`s Einwurf" informiert UEFA-A-Lizenz-Trainer Franz Hofer exklusiv auf unterhaus.at über aktuelle und interessante Themen rund um den Fußball. Der derzeitige Cheftrainer von Landesligist St. Martin greift dabei auch das eine oder andere heiße Eisen an und scheut sich auch nicht, den Finger in die Wunde zu legen. In seiner heutigen Kolumne beschäftigt sich der Professor für Mathematik und Sport mit der grundsätzlichen Frage "Wer oder was ist ein Talent?" und erklärt, warum ausgezeichnete Fußballer, die im Unterhaus die Fans begeistern, es nicht in den Profibereich schaffen.

Österreich hat neun U6-, 381 U7-, 789 U8-, 969 U9- 1043 U10-, 845 U11-, 958 U12-, 697 U13-, 650 U14-, 598 U15-, 611 U16-, 289 U17-, 217 U18 und nur mehr 36 U19-Mannschaften. Also spielen zirka 190.000 Nachwuchsspieler in ungefähr 8.200 Nachwuchsmannschaften. Ist nun unter 1000 hoffnungsvollen Fußballern ein außergewöhnliches Talent dabei, so laufen derzeit 190 potenzielle „Profispieler von morgen“ herum. Diese gilt es zu finden und entsprechend zu fördern. Aber wer und was ist ein Talent? Dazu nachfolgend einige Gedanken.

Liest man im sportwissenschaftlichen Lexikon nach, so findet man folgende Definition: „Talent ist eine überdurchschnittliche, noch nicht entwickelte Begabung. Sie äußert sich bei Kindern in leichter, sicherer und besser koordinierten Bewegungen als der Norm. Im Training zeigt das Talent größere Lernfähigkeit und bessere Bewegungstüchtigkeit.“

Es fällt auf, dass bei diesem Definitionsversuch die Wettkampfleistung bewusst oder unbewusst außer Acht gelassen wird. Nach Ulbricht (1973) haben nur 6 Prozent aller Personen der Bevölkerung irgendein überdurchschnittliches Talent. Von dieser Minderheit haben einige eine besondere Begabung zum Fußball spielen. Falls wir in unserer Sportart ein Kind als Talent bezeichnen, so glauben wir, dass es bei entsprechender Förderung zu einer überdurchschnittlichen Leistung kommen kann, wobei sich Talent als Produkt aus Erbfaktoren und Umwelteinflüssen verstehen lässt. Über die prozentuelle Verteilung beider Faktoren gibt es unterschiedliche Meinungen.

Eine schon lange bekannte Definition für den Fußballsport findet man in der Schülerligabroschüre „Fußball - Training macht Spaß“ (Nendwich, 1994), mit der Kurzformel TIPS.

T steht für Technik
Ausgezeichnete technische Fertigkeiten sind notwendig, um international mithalten zu können. Die uns allen bekannten fußballerischen Grundtechniken sollten beidbeinig und unter Raum- und Zeitdruck absolviert werden können (=Meister am Ball).

I steht für Intelligenz
Obwohl Spielintelligenz allgemeine Intelligenz nicht bedingt, sollten gewisse kognitive Fähigkeiten vorhanden sein. Rasches Bewegungslernen, taktische Flexibilität und das taktische Umsetzen in den verschiedensten Situationen bzw. im Spiel sind im modernen Wettkampf ein wichtiger Bestandteil.

P steht für Persönlichkeit
Selbstbewusstsein, psychische Stabilität, Einstellung zur Leistung, Disziplin, Willensstärke, Führungsfähigkeit und Teamfähigkeit sind nur einige wichtige Faktoren einer Fußballpersönlichkeit.

S steht für Schnelligkeit
Diverse körperliche bzw. konditionelle Voraussetzungen, insbesondere die Schnelligkeit eines Spielers, sind von grundlegender Bedeutung.

Dieser komplexe Definitionsversuch zeigt schon, dass Kinder ein gut durchdachtes und organisiertes Talentfindung- und Förderungssystem brauchen, um sich dementsprechend entwickeln zu können. Ein sogenanntes Talent sollte man unter qualifizierter Beaufsichtigung wachsen und reifen lassen. Diese herausfordernde Aufgabe hat der ÖFB mit einem lückenlosen, gut durchdachten, auf österreichische Verhältnisse angepassten, finanziell längerfristig gesicherten Projekt mit dem Namen „Der österreichische Weg“ übernommen.

Als ehemaliger Nachwuchstrainer, sportlicher Leiter der Fußballakademie in Ried und Jungprofiindividualtrainer beim LASK, kann ich mich der Meinung, dass sich ein Talent nicht verhindern lässt und sowieso durchsetzt, aus eigener Erfahrung nicht anschließen. Es scheint mir nämlich verwegen zu sein, von einigen Sportlern induktiv auf eine Gesamtheit zu schließen. Nicht umsonst hatte die DDR ein ausgeklügeltes Talentsuch- und Förderungssystem von Weltgeltung.

Hier meine eigenen Erfahrungsberichte:

Wenn es ein Spieler wie Franky Schiemer, den ich zweieinhalb Jahre begleiten durfte, schaffen will, so braucht er  meiner Meinung nach drei Eigenschaften.

1)  Das Talent muss selbstständig und konstant mindestens vier Mal pro Woche selbstständig bzw. angeleitet Fußball spielen. Der Trainingseifer muss unabhängig von Personen und Umweltbedingungen sein.

2) Der Star von morgen muss immer gewinnen wollen und über das Maß ehrgeizig sein. Nichts tut so weh  wie Niederlagen, ob beim Karten spielen, beim Tischtennisturnier oder beim Trainingsspiel.

3) Dieser Mensch darf keine körperliche bzw. psychische Problempersönlichkeit sein. Wer den physischen und psychischen Belastungen unter Stress nicht gewachsen ist, wird früher oder später ein „Drop Outler“  werden.

Solche Personen spielen nur mehr zum Vergnügen in unteren Leistungsklassen oder wenden sich ganz vom Fußball ab. Nach meinem Dafürhalten kann man daher nur eine „Negativselektion“ vornehmen und ausschließen wer es nicht schaffen wird. Auch hier wird es sicher statistische Ausreißer geben, die man aber mit Freude zur Kenntnis nimmt. Eine 100-prozentige Erfolgsvorhersage scheint utopisch.

Wer von uns kennt nicht einige ausgezeichnete Fußballer, die mit dem Ball nahezu alles können, aber nicht annähernd in den Bereich des Profisports aufgestiegen sind. Also seien wir froh über „glücklose Talente“ im Fußball-Unterhaus, die den Weg nach oben aus irgendwelchen Gründen nicht geschafft haben und uns aber manchmal mit sehenswerten Einlagen einen Fußballnachmittag versüßen. Es leben die „Pseudo-Talente“!


Franz Hofer

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